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Freerk Huisken

Vergangenheitsbewältigung, die Dritte!

Die erste betraf den faschistischen Staat und sollte die Euthanasie, den Holcaust und den 2.Weltkrieg "bewältigen". Die zweite galt der sozialistischen Vergangenheit. Hier galt es einen vom Siegerstaat zum Staatsgefängnis deklarierten Arbeiter- und Bauernstaat zu "bewältigen". Die dritte Vergangenheitsbewältigung betrifft heute die Studentenbewegung. Die hat es zwar nie zum "System" gebracht, dafür aber der herrschenden Demokratie mit ein wenig Randale ihr eigenes Ideal vorgehalten. Diese Unterschiede interessieren jedoch in der öffentlichen Aufarbeitung nicht. Nach gleichem Muster werden "Drittes Reich", DDR und 68 mit demselben Credo bewältigt: Nie wieder! Nie wieder Faschismus, nie wieder Sozialismus, nie wieder gewalttätiger Protest gegen den Staat und seine Einrichtungen. Und ohne Rücksicht auf Systemfragen, politische Inhalte und Gründe für Protest geht es ein jedes Mal nur um die Frage, ob die Macher und Mitmacher von einst, allesamt von den "Bewältigern" zu Gewalttätern erklärt, in der Demokratie glaubwürdig hohe Ämter besetzen können. Das ist der Gesichtspunkt, vor dem alle Unterschiede und Gegensätze gleich werden: Darf den Gewalttätern von damals die Zulassung zu Ämtern erteilt werden, in denen sie das Gewaltmonopol regieren? Für die Nazis von einst hat sich die Frage erledigt, für die SED-Funktionäre ist sie gleich eindeutig entschieden worden. Um die 68er in Amt und Würden wird gestritten.

Keinen Streit....

löst dabei die Frage der Amtsführung selbst aus. Auch die CDU/CSU muß anerkennen, daß Fischer als Außenminister eine gute Figur abgibt, internationale Reputation genießt, der Steinewerfer von einst in seiner Verantwortung für den zweckmäßigen Einsatz von Raketenwerfern heute für Deutschland Ehre einlegt. Und selbst der Umweltminister ist hinsichtlich seiner Amtsführung lange aus der Kritik: Der Atom-"Kompromiß", mit dem der Atomindustrie auf silbernem Tablett Geschenke überreicht wurden, konnte als endgültiger Einstieg in den endgültigen Ausstieg verkauft werden. Das war sein Gesellenstück. Sein Meisterstück deutet sich an: Kompromißlosigkeit gegenüber den Castor-Gegnern. Dem gebührt Respekt, gestehen Merkel, Merz und Stoiber ein.

Gerade diese prinzipielle Übereinstimmung zwischen Regierung und Opposition in den "Sachfragen" ist es wieder einmal, welche dazu führt, daß die Opposition zum Angriff auf die Person des Amtsträgers bläst. Wie sonst soll sie sich als Opposition auch profilieren, wenn die Konkurrenz in der Politik mangels Differenzen in der Sache ausfällt. Dann sieht sie sich genötigt, sich entweder als Mannschaft mit den glaubwürdigeren Personen vorzuführen oder - wenn auch dies auf Schwierigkeiten stößt - die Vertrauenswürdigkeit der Figuren in Regierungsämtern zu bestreiten. Darum geht es bei dem ganzen Getöber und um nichts sonst.

Ein Lehrstück in Sachen moderner parlamentarischer Demokratie läuft vor unseren Augen ab: Mit dem Konsens in fast allen wichtigen Fragen der Nation zwischen Regierung und Opposition stellen die ihre Konkurrenz nicht etwa ein, sondern entbrennt der Kampf um die Macht erst so richtig. Der findet auf Feldern statt, die der Schlüssellochperspektive von Kammerdienern reichhaltige Nahrung liefern: Spermaflecken auf Kleidern von Büroangestellten werden dabei ebenso zum Politikum wie die Frage, mit wem Fischer am Soundsovielten im Jahre 1973 in seiner WG gefrühstückt und ob Trittin jemals selbst - "klammheimlich" - einen Stein in die Hand genommen hat. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Hier wird keineswegs die Demokratie zur unwürdigen Farce, sondern solche "unwürdigen Farcen" sind notwendige Verlaufsformen des demokratischen Herrschaftssystems. An ihnen entscheiden sich Fragen der personellen Besetzung von Ministerposten. Und gelegentlich sollen über solche "Leichen im Keller" schon ganze Regierungen gekippt sein.

Ebenfalls keinen Streit....

gibt es über die Frage, welche Lehren aus der Studentenbewegung gezogen werden sollen. Heute, so beteuern die 68er und RCDS-Funktionäre von einst in schönster Geschlossenheit, muß in dieser Republik niemand mehr einen Stein auf einen Polizisten werfen, eine Kaserne blockieren, eine Vorlesung sprengen oder ein einschlägiges Pressezentrum ein wenig neu durchsortieren. Heute gibt es keine guten, sondern nur noch falsche Gründe, sich demonstrativ und "nachhaltig" gegen die staatlichen Autoritäten aufzustellen. Wer dennoch die demokratischen Regeln der konstruktiven Kritik und des kritischen Anstands verletzt, der kann von keiner der herrschenden Parteien, weder von Rot/grün noch von der CDU/CSU Nachsicht erwarten.

Dissens .....

herrscht allein in der Frage, ob diese Lehre trotz oder wegen 68 zu ziehen ist. Und da kracht es gar fürchterlich, werden kleine und große Anfragen im Parlament aufgeregt debattiert und höchste interessierte Sichtweisen der Studentenbewegung zu Kronzeugen des jeweiligen Standpunkts aufgeplustert. Da steht die Opposition auf dem Standpunkt, daß Gewalt gegen den Staat, der immerhin die Nachkriegs-Demokratie mit original-antifaschistischem Auftrag verkörperte, immer zersetzend und kriminell ist. Daß folglich ein unbefugter Gewalttäter von damals nie glaubwürdig befugter Sachwalter des staatlichen Gewaltmonopols von heute sein kann - so gut er seine Sache auch immer betreiben mag.

Und es kontert die Riege grüner Minister, Staatssekretäre und politischer Berater in einer Weise, daß man schon fast versucht ist, die Studentenbewegung gegen sie in Schutz zu nehmen. Natürlich, so lautet ihr Bekenntnis, war auch damals Gewalt ein schwerer politischer Fehler - Entschuldigung, Entschuldigung! Aber man müsse sich einmal in die damalige Situation hineinversetzen. Und - dann bemühen sie glatt jenes Argument, das so manches irreversible Zerwürfnis mit ihren Eltern ausgelöst hat - wer nicht dabei war, kann eigentlich nicht richtig mitreden. Statt Klärung ist Empathie angesagt und Verständnis verlangt: Gab es nicht damals die Globkes, Oberländers und Lübkes, lauter altgediente Nazis in demokratischen Staatsämtern! Und war die Universität nicht eine reine Odinarienuniversität! Mußte Deutschland nicht aufgerüttelt werden gegen den Vietnamkrieg, in dem der Partner USA unschuldige Völker massakrierte! Und wurden nicht damals völlig grundlos die verfassungswidrigen Notstandsgesetze in die Verfassung geschrieben! War es nicht ein Skandal, daß ungenutzter Wohnraum aus rein spekulativen Gründen verrottete, wo Studenten ohne Bude waren!

So werden aus Gründen, sich tatsächlich so seine Gedanken über das Nachkriegsdeutschland zu machen, lauter Entschuldigungen für immer wieder das eine: den Einsatz von - selbstredend auch damals schon - unbefugter Gewalt. Das Eingeständnis von Schuld ist dabei das Vehikel, um der Opposition zugleich einen Leberhaken zu verpassen: Gerade der Umstand, daß sie, die Grünen, heute in Amt und Würden stehen, würde belegen, daß sich die Republik geändert hat. Wie könnten sie sonst für ein Gemeinwesen Verantwortung übernehmen, das sie vorher auf der Straße bekämpft haben? So wird aus ihrer politischen Karriere in den Arsch der Bourgeoisie, die immer im Bewußtsein betrieben wurde, auf der richtigen, guten und erfolgreicheren Seite zu stehen, umgekehrt der Beleg dafür, daß es sich heute für alle Kritiker lohne, die nationale Sache als die ihre zu begreifen, und daß es die Republik ohne die Studentenbewegung mit ihren 35, heute noch in der Asservatenkammer des Verfassungsschutzes registrierten auf den Staat geworfenen Steinen nie so weit gebracht hätte.

Gemeines Lob der Republik

Das ist wirklich noch eine Extragemeinheit: Aus der Tatsache, daß Bündnis/Grün Deutschland mitregiert, soll geschlossen werden, daß an Deutschland nichts Prinzipielles zu kritisieren ist, Deutschland zumindest auf dem richtigen Weg ist und in den richtigen Händen liegt. Der Beleg für die nationale Wende einer 1968 noch von ihren Geburtswehen geprägten Nachkriegsdemokratie ist die personelle Besetzung der aktuellen Regierungsmannschaft. Kongenial zum Angriff der Opposition weisen ihn die Grünen mit dem Hinweis auf ihre Figuren in den Ämtern zurück. Die von ihnen als Personen reumütig eingestandenen "Fehler" von einst sollen nun umgekehrt gerade ihre Glaubwürdigkeit als Amtsinhaber belegen: Wer seinen früheren Gewalttaten abschwört, ist gerade dadurch vertrauenswürdiger und moralisch integerer Sachwalter des staatlichen Gewaltmonopols.

Doch dabei bleibt es nicht. Denn zugleich machen diese Grünen ihre damaligen "Fehler" dafür verantwortlich, daß die Republik so einen famosen Lauf genommen hat. Wie das? Und was ist denn hier famos! Man sollte sich schon einmal die Frage stellen, worauf die Grünen eigentlich so stolz sind, wenn sie ihren Blick über den aktuellen Stand des demokratischen Kapitalismus in Deutschland schweifen lassen? Auf ca.4 Millionen Arbeitslose, sinkendes Lohnniveau, "Kinderarmut" ,Neofaschismus, durchgesetzte Ausländerfeindlichkeit, BSE, strahlende AKWs, den Kosovo-Krieg mit oder ohne Uranmunition, den EURO oder einen deutschen IWF-Vorsitz? Auf lauter Phänomene, die es 68 in der Tat nicht gab, und die bei vorurteilsloser Betrachtung ziemlich präzis über Lage und Zwecke der Nation heute Auskunft geben? Wohl nicht! Aber darauf, daß all diese Skandale bei ihnen gut aufgehoben sind, schon! Also auf nichts als auf ihre Teilhabe an der Macht sind sie stolz. Und die hat sich in der Tat in den letzten Jahren zum Positiven verändert. Deutsche Macht ist gewachsen und hat dazu geführt, daß aus der Verlierernation von einst eine imperialistische Großmacht geworden ist. Darauf kann man natürlich auch stolz sein.

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