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Freerk Huisken, Bremen 6/97

Zur Kritik der Wehrmachtsausstellung:

Konkurrenz um die passende Nationalmoral statt Aufklärung über Faschismus und Krieg

Vorbemerkung:

Anläßlich der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung (=WMA) gab es Plakate in der Stadt, mit denen ein linkes Bündnis dazu aufrief, die WMA vor rechten Übergriffen zu schützen. Der Hintergrund war klar: In der Tat war ein Demo der NPD angemeldet, die später untersagt wurde. Gewundert habe ich mich schon etwas über diesen Aufruf. Ihm war zwar zu entnehmen, vor wem, nicht aber, warum man die WMA eigentlich schützen sollte. Das Plakat erzeugte den Eindruck, daß der angekündigte Angriff von rechts doch bereits ein hinreichender Grund sei, für die WMA Partei zu ergreifen. Ich teile diese Logik nicht und möchte vor ihr warnen. Eine Parteinahme, die sich gar nicht aus einem Urteil über die kritisierte Sache selbst ergibt, sondern bereits in der neofaschistische Kritik ein Gütesiegel der Ausstellung entdeckt - nach dem Muster, daß die Feinde meiner Feinde meine Freunde sind - verwechselt zwei Sachen miteinander. Sie verwechselt die Auseinandersetzung mit der neofaschistischen Kritik mit einem positiven Befund über das Objekt der Kritik. Wenn NPD u.a. in der WMA eine Besudelung deutscher Ehre sehen, die sie nicht dulden möchten, dann spricht diese Kritik nur gegen die Neofaschisten. Sie wäre anzugreifen, über "deutsche Ehre" wäre etwas zu sagen und über die Einigkeit zwischen diesem neofaschistischen Verein, vielen deutschen Ex-Landsern und politischer Prominenz von Gauweiler bis Dregger. Über die WMA wäre damit noch kein Urteil gefällt - weder ein negatives noch ein positives; wie auch - mit ihr hat man sich dann ja noch gar nicht befaßt.

Natürlich ist gerade diese Parteilichkeit, die die WMA zu einem schützenswerten Gut erklärt, nicht gänzlich grundlos. Wenn Linke sich hier parteilich einschalten, dann fällt das in ihren Antifaschistischen Kampf, in dem die Rollen klar verteilt sind. Die NPD u.a. sind die neuen Faschisten; die WMA, so lautet das Urteil, steht auf der antifaschistischen, also auf der richtigen Seite. Keine Frage also, daß in dieser Kontroverse eindeutig Parteilichkeit für die WMA geboten ist.

Ich halte das für gar nicht zwingend; und zwar deswegen nicht, weil Antifaschismus in Deutschland überhaupt nicht mit Kritik am Faschismus, mit vernünftiger Aufklärung über die Quellen des Faschismus, über seine Erscheinungs- und Verlaufsformen zusammenfällt. Was in Deutschland nach 1945 unter dem Etikett Antifaschismus angetreten ist, verdient nicht automatisch deswegen schon ein Pluszeichen, weil es als Bekenntnis gegen Faschismus daherkommt. Es lassen sich nämlich dem Anti gar nicht die Gründe entnehmen, die zur Absage an den Faschismus geführt haben. Antifaschist konnte und kann man in Deutschland aus ganz nationalistischen Gründen sein: So ist man Antifaschist, weil der Hitler "Deutschland in die Katastrophe geführt" hat, weil er es "mit den Juden wirklich zu weit getrieben", sie einfach "sinnlos umgebracht hat", weil er im 2.Weltkrieg "jedes vernünftige Maß hat vermissen lassen" oder einfach deswegen, weil es die von den Siegermächten verlangte neue Nationalmoral war, der man sich anzubequemen hatte. Auch linke Spielarten des Antifaschismus müssen sich die Kritik gefallen lassen, daß ihr Anti rein moralischer Natur geblieben ist und apologetische Züge aufweist. Wenn dem Faschismus die Absage an demokratische Normen und Regeln vorgeworfen wird, wenn in der Demokratie Altfaschisten aufgespürt und für einen Kontinuitätsbeweis herhalten müssen oder wenn behauptet wird, daß Deutschland und die Deutschen aus historischen Gründen immer wieder zwangsläufig zum Faschismus greifen, dann ist diesen Befunden viel Liebe zur - wahren, eigentlichen usw.-. Demokratie, aber kein korrektes Urteil über den Faschismus zu entnehmen.

Fazit: Die WMA ist also weder deswegen zu verteidigen, weil sie von den Rechten ins Visier genommen wird, noch deswegen zu schon loben, weil sie in die Abteilung "Antifaschismus" fällt.

Um zu einem Urteil über die WMA zu kommen, muß man sich mit ihr selbst befassen - und ich meine theoretisch befassen; ich meine nicht, sich dem "Erschrecken über die unvorstellbaren Verbrechen von Deutschen" hinzugeben.

Gliederung:

I. Die WMA - eine Kritik

1. Falsche Kritik der Legende von der sauberen Wehrmacht

2. Falsche Urteile über Faschismus und Kritik

II. Die Auseinandersetzung mit der WMA

1. Das öffentliche Lob

2. Die Kritik von rechts

I. Die WMA - eine Kritik

1. Falsche Kritik der Legende von der sauberen Wehrmacht

1.1. Die WMA tritt an mit der Absicht, mit Legenden über die deutsche Wehrmacht aufzuräumen. Diese Legenden gab es und gibt es noch - in Wissenschaft, Erziehung und Öffentlichkeit. Da liegen die Aussteller richtig. Da kann kein Zweifel bestehen: Bis in die jüngste Vergangenheit hinein mußten Schüler an deutschen Schulen über die Wehrmacht z.B. folgendes lernen:

"Die Wehrmacht, die sich als einzige deutsche Instanz in der Regel human gegenüber der Zivilbevölkerung verhielt, war absichtlich so in ihren schmalen Befehlsbereich eingeschnürt worden, daß sie die Situation nirgends (gegen das verbrecherische Wirken der SS und ihrer Einsatztruppen, FH) zum wesentlich Besseren wenden konnte." (IzpB 1982, BZ)

Das ist so eine Legende, die das HIS meint. Da hat sie recht. Aber damit ist auch schon der einzige Punkt abgehakt, in welchem ich mit den Ausstellern übereinstimme.

Bereits in der Frage, wie diese Legenden zu kritisieren sind, habe ich eine andere Auffassung.

1.2. Die Legende über die im Prinzip saubere, humane Wehrmacht, die per Arbeitsteilung mit der SS in einen Befehlsbereich eingeschnürt war, der es ihr nicht ermöglichte, gegen die inhumane SS vorzugehen - wie sie es eigentlich wohl gewollt hätte - , die folglich gegen ihr eigenes Ethos in einen "Vernichtungskrieg verstrikt" worden ist, diese Legende ist weder das Resultat ungenügender historischer Recherche, noch das Produkt mangelhafter Theoriebildung, weder ist sie zustande gekommen, weil Historikern irgendwelche Archive verschlossen waren, noch ist sie das Resultat logischer Irrtümer. Sie ist vielmehr - und eigentlich auf den ersten Blick erkennbar - das Produkt eines politischen Interesses, das sich die nationalsozialistische Wehrmacht wie gewünscht, nämlich als eigentlich vom Faschismus nur mißbrauchte Armee von im Prinzip guten pflichtgetreuen Soldaten zurechtlegt.

Da nach 1945 eine neue Wehrmacht, die Bundeswehr, schnell wieder gebraucht wurde, eine SS dagegen nicht, war den politisch Verantwortlichen schon daran gelegen, daß ihr Nachkriegsprojekt nicht durch das Vorkriegs- bzw. Kriegsprojekt moralisch-politisch diskreditiert würde. Ihnen kam es darauf an, die Zweifel an der Notwendigkeit der Wiederaufrüstung zu zerstreuen. Und dazu gehörte es, die Wehrmacht so darzustellen, daß sie sich zumindest von der SS positiv abhob: Wehrmacht war eben bloß Wehrmacht und die SS war das menschenverachtende Instrument der Vernichtungspolitik des Verbrechers Hitler. Die Bundeswehr knüpft dann nur an das humanistische Vermächtnis der Wehrmacht an und wird eine Friedensarmee, die mit "Militarismus" nicht zu tun hat. Schon war mit der Wehrmachtslegende die Bundeswehrlegende untermauert, die bis heute gilt, und die auch wenig mit der Wahrheit über die Bundeswehr zu tun hat.

(Andere Legenden kamen hinzu wie die vom antifaschistischen Widerstand aus der Armee (20.Juni), die Legende von der Wehrmacht als Sammelbewegung antifaschistischer Generale, die General-Paulus-Legende usw.)

Neben diesem Interesse gehören auch noch die Ungereimtheiten kritisiert, die zwangsläufig auftauchen, wenn historische Fakten unter das politische Rechtfertigungsinteresse gebeugt werden. Auch das ist schnell erledigt:

* Hitler, der von 1933 an konsequent den Krieg gegen seinen äußeren Hauptfeind, den "verjudeten Bolschewismus", vorbereitet hat, der es geschafft haben soll, die ganze Gesellschaft von der Legislative bis hin zum Alltag der Bürger unter das Diktat des Faschismus zu beugen, der soll ausgerechnet beim wichtigsten Instrument seiner Staatsgewalt, dem Militär, eine Ausnahme gemacht haben. Ausgerechnet die Wehrmacht, die den Auftrag erfüllen sollte, das "Ostland" für Deutschland zu erobern, soll eine Art Insel humanistischer Antifaschisten gewesen sein mit lauter aufmüpfigen Generälen, die nur nicht so konnten wie sie wollten? Die fast durchgängige Mitgliedschaft der Offiziere in der NSDAP ist dann wahrscheinlich - die Logik kennt man - nur Tarnung gewesen, in der diese Offiziere Schlimmeres verhüten wollten. Soweit der erste Unfug der Legende.

* Das aber gelang wegen des Korsetts der Arbeitsteilung mit der SS leider nicht - womit der zweite Unfug angesprochen wäre. Was ist denn mit Arbeitsteilung gemeint: Daß beide Abteilungen, WM und SS, dem gleichen politischen Ziel untergeordnet waren. Jede Abteilung hatte mit ihrem jeweiligen Auftrag die Aufgabe der anderen Abteilung zu ergänzen und zu ihrem Gelingen beizutragen. So geht eben Arbeitsteilung: Die Wehrmacht trat gegen die Rote Armee an, und so konnte die SS hinter der Front geschützt ihre Judenpogrome veranstalten. Und umgekehrt: Die Vernichtungsarbeit der SS ergänzte die territoriale Eroberung um die Säuberung des Territoriums von semitischen Untermenschen. Glauben sollen wir aber, daß sich mit der "geteilten Arbeit" auch verschiedene, ja einander widersprechende Ziele in den Ostfeldzug hätten einschleichen, nur eben leider nicht durchsetzen können, was dann merkwürdigerweise wieder an derselben Arbeitsteilung gelegen haben soll.

Das reicht zur Kritik solcher Legenden. Dafür ist eine Ausstellung nicht nur nicht nötig, sondern geradezu schädlich - wie noch zu zeigen sein wird. Diese Legendenkritik kommt ohne ein Bild aus. Die zwei bis drei Argumente reichen völlig hin. Und schon ist man beim Rechtfertigungsinteresse selbst, das der Bundeswehr gilt, ist beim Thema Bundeswehr. Das Thema Faschismus/Wehrmacht des NS ist erledigt, man ist weg von der Vergangenheit und ist beim hier und heute, bei der Gegenwart, also bei der Frage: Was hat die deutsche Nachkriegspolitik eigentlich mit ihrem Militär vor, wenn sie über es eine so gute Meinung stiften möchte?

Doch genau das tun die HIS-Forscher nicht. Weder halten sie sich mit theoretischer Kritik der Legenden auf, noch ist ihnen die Kritik des Nachkriegsweißwäscherinteresses ein Anliegen. Sie widmen sich statt dessen dem Dementi der Legenden. Sie sammeln historische Fakten und empirische Daten als ob Militärhistorikern bisher die entscheidenden Quellen verschlossen gewesen wären, als ob sie an einem Mangel an Beweismaterial gelitten hätten und nur deswegen zu falschen Urteilen gekommen wären! Und selbst wenn sie vielleicht über die Zunft der Militärwissenschaftler auch nicht so freundlich denken, sondern der Auffassung sind, das deutsche Volk müßte jetzt die Wahrheit über die WM erfahren, die ihm 50 Jahre vorenthalten worden wäre, dann liegen sie nicht richtiger - eher sogar falscher. Denn gerade die deutschen Bürger, die mehrheitlich bis heute offenbar mit den Legenden über die Wehrmacht keine Probleme gehabt haben, die sich mehrheitlich den Bundeswehrauftrag von heute genauso zurechtlegen wie es von der herrschenden Politik gewünscht wird, bei denen die politische Absicht der Legende, die Bundeswehr als Friedensarmee darzustellen, angekommen ist, wären erst recht mit der Kritik an dem Interesse der Legendenbildner zu konfrontieren statt mit überflüssigen Beweisen von Kriegsgreueln. Immerhin sind die Leute es, die den Auftrag der Friedensarmee zu erfüllen haben.

Fazit: Wer die Legenden über die WM kritisieren will, muß Front machen gegen das Rechtfertigungsinteresse der Aufrüster der Nachkriegsdemokratie. Der darf die Legenden nicht dementieren.

1.3. Mit dem Dementi mischen sich die Aussteller denn auch prompt in die staatsmoralische Rechtfertigungsdebatte ein und verweisen nicht auf deren Weißwäscherabsicht, sondern auf die Unglaubwürdigkeit beim moderaten Weißwaschen der Bundeswehr. So gesehen tritt die Ausstellung den Legendenbastlern regelrecht zur Seite und weist sie darauf hin, daß ihre Legenden glaubwürdiger würden, wenn sie alle Verbrechen der Wehrmacht zugeben würden. Wenn sie also nicht nur die Beschuldigung immer als Vehikel der Entschuldigung der Wehrmacht einsetzen würden - die Wehrmacht war Instrument von Hitlers Verbrechen (Beschuldigung), womit er es geschafft hat, daß das ethische, humane Anliegen der Offiziere (Entschuldigung) in der Wehrmacht nicht zur Geltung kommen konnte - , sondern wenn sie heute endlich klarstellen würden, daß ganze Teile der Wehrmacht aktiv und willentlich an den "Kriegsverbrechen" beteiligt waren. Kein Wunder, daß die Aussteller mit Militärhistorikern, Politikern und deutschen Ex-Landsern darüber rechten, wieweit die Wehrmacht sich schuldig gemacht hat, ob also ihre Schuld "bloß" darin bestanden hat, daß sie sich von Hitler mißbrauchen ließ, und die deutschen Soldaten "nur" ihre Pflicht getan haben, oder ob Teile der Armee tatsächlich willentlich der SS Arbeit abgenommen haben.

Die Faschismusanalyse verkommt damit zum Wälzen von Schuldfragen. Die Rolle des Militärs im deutschen Faschismus, die Kriegsziele der NS-Politik, die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Innen- und Außenpolitik usw., all das fällt nicht in den Aufklärungsbereich der Ausstellung. Sie interessiert sich nicht dafür, warum der Ostfeldzug so geführt worden ist, wie er geführt worden ist. Sie will festhalten, daß die deutsche Wehrmacht doch tatsächlich das, was sie gemacht hat, als ihren Auftrag verstanden und mit Überzeugung vollzogen hat, daß sie schwere Schuld auf sich geladen hat. Deswegen kommt man sich in der Ausstellung auch gelegentlich vor wie im Gerichtssaal, in welchem die Ankläger alle ekelhaften Beweisstücke für ihre Anklage ausgebreitet haben. Und wie es im Gericht nicht um die theoretische Frage nach den Ursachen geht, so meidet auch die Ausstellung alles, was nicht "gerichtsverwertbar" ist. Was bleibt ist: Der Ostkrieg war eine Folge von Rechtsverstößen für die die Täter verantwortlich waren, weswegen es Sinn macht, von den Verbrechen der Wehrmacht zu reden.

Fazit 2: Der deutsche Faschismus ist gar nicht das Thema, nicht einmal der Ostfeldzug. Gewälzt werden Schuldfragen; nicht um wirklich nach 50 Jahren jemanden anzuklagen, sondern um die Glaubwürdigkeit deutscher Vergangenheitsbewältigung auf ein moralisch saubereres Fundament zu stellen. Das ist das eigentliche Thema der Ausstellung. Heer und Reemtsma machen den politischen Vergangenheitsbewältigern damit staatsmoralische Konkurrenz, statt sie anzugreifen. Die Botschaft, mit der sie die Ausstellung konzipiert haben, heißt: Wir als Deutsche sind noch längst nicht fertig mit unserer Vergangenheit. Und unsere Glaubwürdigkeit vor uns selbst und der Welt als Deutsche steht und fällt mit unserer Bereitschaft, die ganze Schuld zu offenbaren und zu ihr zu stehen.

1.4. Das ist ein gut deutsches, ein nationalistisches Anliegen. Der Nationalismus, der diesem Konzept zugrundeliegt, ist natürlich kein Hurrapatriotismus. Er ergreift auch nicht umstandslos Partei für deutsche Bosnien-, Europa- oder Nato-Anliegen. Er ist komplizierter. Ich nenne ihn mal den idealistischen Verantwortungsnationalismus. Er sorgt sich darum, ob das Deutschlandbild eigentlich den eigenen Maßstäben von einer geläuterten Nation entspricht: Als Deutsche fühlen sich die Aussteller und als Deutsche, als Angehörige eines "Kollektivs, das geprägt ist von dem, wo es herkommt" (Heer), wollen sie, daß jeder Verdacht, daß das Vergangene heute noch Überlebenschancen hat, zerstreut wird. Dafür schauen sie sich nicht die Politik an, die heute gemacht wird, sondern schauen drauf, ob eine glaubwürdige Vergangenheitsbewältigung betrieben wird. Und allein da entdecken sie Mängel. Verdächtig wird ihnen ihr Deutschland, weil sie bei der Befassung mit dem Faschismus Versäumnisse entdecken und überhaupt eine Tendenz zum "Vergessen" bemerken.

Und prompt machen sie sich ans Werk. Sie installieren eine Ausstellung, die ihren Maßstäben von glaubwürdiger Vergangenheitsbewältigung entspricht. Und so machen sie Reklame für ein glaubwürdigeres Deutschland.

Inzwischen - nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung, jetzt wo das Lob der Ausstellung die rechte Kritik längst überwiegt - ziehen die Aussteller übrigens eine ziemlich positive Bilanz. Sie nehmen inzwischen sich selbst und ihr Produkt - wie Goldhagen beim öffentlichen Widerruf eines Teils seiner Thesen anläßlich der Verleihung eines Demokratiepreises an ihn - als Beweis dafür, daß Deutschland schon auf dem richtigen Weg ist. Die öffentliche Aufnahme ihrer Ausstellung ist ihnen zirkulärer Beweis für das geläuterte Deutschland: Weil es uns geben darf, kann Deutschland nicht ganz falsch, sondern sogar ein bißchen Heimat sein. Um zu diesem Befund zu gelangen, muß man sich allerdings bereits in Deutschland geistig beheimatet haben, und sich als eine wichtige nationale Kraft begreifen, von dessen Wirken das deutsche Ansehen mit abhängt. Ihr nächstes Projekt wird ihnen sicher weitere Gewißheit geben.

2. Falsche Urteile über den Faschismus

Es kann nicht ausbleiben, daß bei einem Dementi von Legenden die Sache selbst gründlich verfehlt wird, die das Material für das nationalmoralische Glaubwürdigkeitsgetöber abgibt: Die faschistische Wehrmacht, die Kriegsziele des deutschen Faschismus, das politische Programm des Faschismus selbst. Ich behaupte, daß bei dieser Sorte Abbau von Legenden neue Legenden gebildet werden und alte Legenden an neuem Material aufgefrischt werden.

Die beiden zentralen alten/neuen Legenden, die ich im folgenden kritisieren will, deuten sich im Titel der Ausstellung an: "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" (Ostfront) Dargestellt wird in der Ausstellung, daß die deutsche Wehrmacht an "Kriegsverbrechen" beteiligt war, meint: daß auf Befehl des OKW Wehrmachtsteile an Judenerschießungen beteiligt waren, daß Zivilisten und sogenannte Partisanen systematisch liquidiert und massenhaft Kriegsgefangene getötet wurden. (Das war so, kein Zweifel.) Beide Urteile - das über die "Verbrechen" der Wehrmacht und das andere, das daraus den Befund vom faschistischen Vernichtungskrieg ableitet - teile ich nicht.

2.1. Die erste alte Legende - an neuem Material - besteht darin, diese Kriegshandlungen zu Verbrechen zu erklären. Die Logik ist nicht unbekannt. Wenn bei Schülern aus ihrem Geschichtsunterricht etwas hängen bleibt, dann ist es der Befund vom bösen Verbrecher Hitler und dessen verbrecherischer Judenvernichtungspolitik. Kurz, der Faschismus gilt heute insgesamt als ein einziges Verbrechen. Und jetzt ist - laut Ausstellung - die Wehrmacht auch noch zur verbrecherischen Organisation erklärt.

Erkennbar bringt diese Bezeichnung "Verbrechen" die Ablehnung des NS-Regimes zum Ausdruck. Das mag - von mir aus - auch als erste vorläufige Äußerung von moralischer Empörung etwas treffen: Damit will man nichts zu tun haben, das verbietet man sich selbst als Handlungsmaxime. Doch wer diese Sorte moralischer Ablehnung bereits für ein theoretisches Urteil nimmt, wer sie für so zutreffend hält, daß er damit eine ganze Ausstellung betitelt, der muß sich Kritik gefallen lassen:

* Die Ausstellung sortiert mit diesem Etikett - erstens - die Kriegshandlungen der Wehrmacht nach "verbrecherisch" und "nicht-verbrecherisch" bzw. "normal" (Reemtsma). Die Ausstellung legt also eine Sortierung von Kriegen nach "sauberen" und "unsauberen" Kriegen nahe. Dies ist kein Zufall, sondern das ziemlich zwangsläufige Resultat des Dementis. Dem politischen Sauberkeitsinteresse der Militärhistoriker kommen sie mit ihrem viel radikaleren Sauberkeitsanliegen, das nicht nur vereinzelte "Verbrechen" entdeckt, sondern die Wehrmacht insgesamt im Ostfeldzug der Verbrechen bezichtigt. Nein, sagen die Aussteller, die Wehrmacht war nicht sauber, sondern unsauber, verbrecherisch eben. Es ist also die Logik des Dementis selbst, die die Sortierung nach "normalen" Kriegen nahelegt, in denen keine der Verbrechen vorkommen, und nach den anderen, den "unsauberen".

Daß Kriegshandlungen (im Ostfeldzug) auf diese Weise nach dem Grad ihrer Verwerflichkeit sortiert werden, finde ich nicht deswegen so unangemessen, weil Krieg "immer schlimm" ist - wie eine Leserbriefschreiberin meint, die in ihrer rein moralischen Stellung zum Krieg schon nicht mehr zwischen Zahnschmerzen, einem Autounfall und dem Rußlandfeldzug unterscheiden will. Diese Sortierung ist vielmehr deswegen so haltlos, weil sie Krieg gar nicht erst als das, was er seit dem 1.Weltkrieg bis heute ist, in den Blick kriegt, nämlich als Mittel spezifischer Außenpolitik von konkurrierenden Nationalstaaten. Nicht das Töten und Getötetwerden im Staatsauftrag und für die Mehrung nationaler Größe, die bekanntlich nie die Sache der Leute ist, die dafür massenhaft geopfert werden, wird als "Verbrechen" vorgestellt, sondern in dieser Volksverheizungsveranstaltung werden "Verbrechen" einerseits und wird "Normalität" andererseits entdeckt. Es werden nicht die Kriegszwecke von Staaten untersucht, die ihre Völker als Manövriermasse benutzen, es interessiert die Aussteller am Krieg nur, ob er einen bestimmten Grad von Verwerflichkeit überschreitet. Soweit der erste theoretische Skandal.

* Der Befund "Kriegsverbrechen" nimmt - zweitens - immer Maß an irgendeiner Sorte von geschriebenem oder ungeschriebenem Recht. Das ist zunächst einmal das einzige Argument, das gegen die diskriminierten Kriegshandlungen vorgebracht wird: Sie verstoßen gegen geschriebenes oder ungeschriebenes Recht, sind eben Verbrechen. Sie sind eine Abweichung von Staatsrechts-, Völkerrechts- oder Menschenrechts-Normen. Der 2.Weltkrieg Hitlers an der Ostfront war ein Krieg, der - und jetzt zitiere ich Reemtsma - "die Regeln jener Kriegsführung außer Kraft gesetzt hat, in deren prinzipieller Einhaltung traditionellerweise das Ethos des Soldatenstandes ... besteht." (Haager Landkriegsordnung) (Reemtsma, FR 15.4.97)

Diese Kritik ist - logisch gesehen - gar keine. Sie hält nämlich an der inkriminierten Kriegshandlung nur die Abweichung von einer anderen, als "normal" geltenden Tat fest. Daß es sich um eine negativ beurteilte, also verurteilte Abweichung handelt, kommt dabei gar nicht aus dem Befund über die Tat selbst, sondern allein aus der vorentschiedenen Parteilichkeit für den Vergleichsmaßstab.

Und dieser besteht gar nicht - wie die Aussteller behaupten - aus dem Staats- oder Völkerrecht überhaupt, sondern aus der heute gültigen bzw. für gültig erachteten Rechtsauffassung. Das verdient deswegen festgehalten zu werden, weil nach den Normen des faschistischen Rechtsstaats und dessen Völkerrechtsauslegung natürlich im Krieg kein einziger Rechtsverstoß der Wehrmacht stattgefunden hat. Der Befund "Kriegsverbrechen" lebt also von der Parteilichkeit für heute gültige oder heute erwünschte Rechtsmaßstäbe.

(Damit reiht sich das Urteil in die Grunddoktrin deutscher Aufklärung über den Faschismus nahtlos ein: Warum war der Faschismus so böse und folglich verbrecherisch? Weil er nicht die demokratischen Maßstäbe geteilt hat! Folglich ist - lautet die erste Schulweisheit - die Demokratie sehr dafür zu loben, daß sie nicht so ist wie der Faschismus. Das ganze Urteil enthüllt damit noch einmal die Argumentlosigkeit der Parteinahme für heutige Maßstäbe. Es bleiben zwei sich wechselseitig negativ ohne ein Argument bestätigende Befunde übrig: Faschismus böse, weil nicht Demokratie. Und folglich Demokratie gut, weil nicht Faschismus. Was denn nun den Faschismus kennzeichnet und was die Bestimmungen der Demokratie sind, ist dem Befund nicht zu entnehmen. Das ist auch gar nicht nötig. Denn diesem Urteil kommt es ohnehin nur auf die Einübung in eine Parteilichkeit an, die von dem, was F. und was D. ist, gar nichts wissen muß. Notfalls wird als "Beweis" nachgeschoben, daß bekanntlich hierzulande keine KZs für Juden und Kritiker der Demokratie errichtet werden, worüber sich beide dann auch noch sehr freuen sollen.)

* Diese Rechtsmaßstäbe haben also - drittens - den kleinen Haken, daß sie immer erst in kraft treten und verkündet werden, wenn der Krieg beendet ist und zwar vom Sieger. Nachträglich wird der Krieg an Maßstäben gemessen und verurteilt, die im Krieg ohnehin keine Gültigkeit hatten. Dieses geläufige Verfahren zeigt, daß man es als Soldat immer und in jedem Krieg ziemlich schwer hat: Denn ob das Befolgen eines Befehles nun ritterkreuzverdächtig ist oder unter Kriegsverbrechen fällt, das ist der Kriegshandlung selbst gar nicht zu entnehmen. Das wird immer erst nach Kriegsende vom Sieger festgestellt. Und so mancher Ritterkreuzträger hat sich nach verlorenem Krieg als Kriegsverbrecher beschimpfen lassen müssen, wie umgekehrt mancher Soldat, der im Krieg vors Militärgericht zitiert wurde nach verlorenem Krieg zum Helden avanciert ist. Als Soldat sollte man folglich dafür sorgen, immer zu den Siegern zu gehören.

Die Ausstellung lebt also von den moralischen und rechtlichen Maßstäben der Sieger, sie folgt der Logik von Siegerjustiz, die sich auf Menschen- und Völkerrechte beruft, wenn sie dem Kriegsverlierer nach der militärischen auch noch eine juristische und moralische Niederlage beibringen will. Das ist nicht etwa deswegen verwerflich, weil nicht wahrhaft rechtsstaatlich - so denkt etwa Krenz, wenn er der deutschen Justiz im Mauerschützenprozeß Siegerjustiz vorwirft. Mein - drittes - Argument gegen die Sortierung nach verbrecherischen und normalen Kriegshandlungen will den Rechtsidealismus der Aussteller gerade kritisieren. Die glauben nämlich an die Existenz und Gültigkeit eines system- und staatsübergreifenden (Kriegs-)Rechts, an der sich der Hitler mit den genannten Kriegshandlungen angeblich vergangen hat.

Das ist deswegen so aberwitzig, weil der Sieger mit seiner Siegerjustiz gar nicht vorhat, militärische oder moralische Regeln fürs Kriegführen zu erlassen oder zu bekräftigen. Zumal der Krieg gerade vorbei ist und er ihn gewonnen hat. Vielmehr will er nach dem beendeten Krieg den Kriegsverlierer aller möglichen Unrechte und Verbrechen überführen, um ihn vor der Weltöffentlichkeit auch noch moralisch ins Abseits zu stellen. Kriege oder Kriegshandlungen zu Verbrechen zu erklären ist also das Vorrecht des Siegers, der damit zu verstehen geben möchte, daß er mehr als bloß der Stärkere gewesen ist, daß er auch moralisch im Recht, also auch noch der Gute ist, wenn er den Verlierer, d.h. Land und Leute, als seine Beute betrachtet. Er handelt nach dem Motto: Erfolg gibt recht und adelt die angezettelte oder mitgetragene Vernichtungsaktion auch moralisch ungeheuer - post festum. Das ist die Logik, der sich die Ausstellung mit ihrer Sortierung anschließt. Hätte Hitler den Krieg gewonnen, dann hätte es ein Tribunal über Churchill, Stalin, Roosevelt und ihre Generäle gegeben.

Lernen kann man aus solcher Siegerjustiz schon einiges, allerdings nur gegen die Botschaft der Ausstellung: Nämlich erstens, daß nur der Sieger, d.h. derjenige, der aus der Gewaltenkonkurrenz zwischen Staaten als der neue Gewaltmonopolist hervorgeht, Recht setzt, Recht also nichts anderes ist, als die juristische Form eines Siegerinteresses. Und zweitens kann man lernen, daß sich die Maßstäbe und die neue Gültigkeit der vom Sieger vorstellten post-festum-Moral auch nur diesem Recht verdanken, Moral also nichts anderes ist als die ideelle Verwandlung des sehr irdischen Interesses des Staates, der sich mit seiner Gewalt durchsetzt, in höhere Werte.

Außerdem - auch das muß mal gesagt werden - ist jede Justiz im Prinzip immer Siegerjustiz. Es ist im modernen Nationalstaat immer so, daß seine Rechtsnormen erst dann flächendeckende Gültigkeit besitzen, wenn der Staat sein Gewaltmonopol durchgesetzt hat. Erst wenn sie alle anderen Kräfte entmachtet haben, können Machthaber ihr Interesse als ihr Recht formulieren und ihren politischen Anliegen den Charakter von etwas Unumstößlichen, Hochanständigen geben.

Doch in der WMA steht der Zusammenhang von erfolgreicher Gewalt, politischem Interesse des Siegers und Recht auf den Kopf. In ihrem Kriegsrechtsidealismus behaupten sie glatt, daß sich das Interesse der kriegführenden Gewalten im Prinzip unter das Völkerrecht beugen würden. Nur von diesem Standpunkt aus macht die Anklage auf Kriegsverbrechen überhaupt Sinn. Hitler hat sich nicht an die Spielregeln gehalten. So hat denn schließlich für sie auch nur das Recht mit dem Sieg recht bekommen. Das Gute hat über das Böse triumphiert!

Haager Landkriegsordung (Exkurs)

"Verbrechen" im Krieg und "Kriegsverbrecher" entdeckt der Kriegsbetrachter Reemtsma z.B., wenn er sich die Brille des "Haager Landkriegsabkommens" von 1907 aufsetzt - und zwar verkehrt herum. Er wird z.B. nicht müde, den Ostfeldzug an dem "Haager Abkommen" zu blamieren. Er scheint die §§ der Haager Landkriegsordnung tatsächlich für Regeln zu halten, nach denen eigentlich Kriege organisiert werden müßten, damit sie "normal", also ohne "Verbrechen" ablaufen. Er muß den Krieg für eine Art Fußballspiel halten, in dem ein Oberschiedsrichter, ausgerüstet mit einer Pfeife über die Regeleinhaltung wacht und bei Regelverstoß ein Truppenteil mit der roten Karte des Schlachtfeldes verweist.

Dieser Zynismus ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern ist der Zynismus dieses Urteils übers Kriegsrecht. Wo Staaten mit ihrem Militär übereinander herfallen, wo sie ihren Gegensatz nur noch gewaltsam austragen, wo also von der Logik der Sache her sich die Staaten gerade ihr jeweiliges Gewaltmonopol, also die Grundlage ihres Rechts militärisch wechselseitig bestreiten, da ausgerechnet soll der Verweis auf einen Völkerrechtsparagraphen den Kriegführenden gebieten können, auf ihren militärischen Vorteil zu verzichten? Da sich im Krieg die Inhaber der politischen Hoheit selbst hochgerüstet gegenüberstehen, gelten auch Verabredungen zwischen ihnen auch nur soweit, wie es ihrem mit Gewalt ausgestatteten Interesse entspricht. Wenn die Gründe, sich an die §§ des Haager Kriegsrechts zu halten, entfallen, dann fühlt sich eine Krieg führende Partei durch nichts mehr gebunden, weder durch ein multilaterales Vertragsrecht und schon gar nicht durch eine Moral - zumal dahinter ohnehin keine sanktionsfähige Gewalt steht.

Es gibt eben in einer Welt, die durch die Konkurrenz von Nationalstaaten bestimmt ist, weder im Frieden und schon gar nicht im Krieg einen supranationalen Gerichtshof, der über die Machtmittel verfügt, jeden Staat bei Völkerrechtsabweichung rechtsgültig zu verknacken. Für Nationalstaaten, die sich Gewaltmittel zulegen, um ihre Konkurrenz notfalls mit militärischen Mitteln erfolgreich auszutragen, ist ein supranationales Gericht nämlich nichts als eine Bestreitung ihrer Ansprüche und ihrer Mittel. Und deswegen gibt es so etwas nicht - bzw. deswegen gibt es nur die allgemeine und sehr heuchlerische Klage von Staatsmännern, daß die internationalen Einrichtungen zur Überwachung des Völkerrechts so unwirksam sind - eine Klage, die natürlich nur laut wird, wenn es um ihre Angelegenheiten geht.

Daß überhaupt so etwas wie das Haager Abkommen zustande gekommen ist, daß überhaupt Staaten, die allesamt mit Kriegen kalkulieren, die Paragraphen unterzeichnet haben, - eine ehrenwerte Mannschaft an Unterzeichnern ist da zusammengekommen!!! - , hat seine militärpolitische Ratio allein darin, daß sie sich selbst noch im Krieg als Souveräne respektieren, die Herren über die Mittel ihrer Gewalt sind. Um das Brechen der anerkannten Souveränität geht es ja und der Sieg muß als Kapitulation des Verlierers, d.h. als Abtretung sämtlicher Souveränitätsrechte an den Sieger, festgeschrieben werden. Zudem wollen die Parteien in der Regel ihre Kriege so führen, daß dessen Verwüstungen die Benutzung von Land und Leuten im anschließenden Frieden nicht völlig verunmöglichen. Immerhin führen sie den Krieg ja nur deswegen, um später als Sieger aus dem Eroberten politischen, territorialen, geostrategischen oder ökonomischen anderen Gewinn ziehen wollen. Nur aus diesem Grunde verabreden sie, "sinnlose Zerstörungen" und "sinnlose Massentötungen" von "unschuldigen Zivilisten" zu vermeiden. Sie versprechen sich in Hand, wechselseitig nur jene Verwüstungen anzurichten, die sie für kriegsnotwendig halten. Eine hübsche Verabredung!

Und nichts anderes haben im übrigen auch die Faschisten gemacht. Für deren Völkerrechtler wäre es (oder war es?) ein Leichtes gewesen, die Einhaltung der Haager Landkriegsordnung nachzuweisen. Sie haben nie "unschuldige Zivilisten" (Art.2, HLO) umgebracht, sondern allenfalls solche Bevölkerungsteile, die - aktiv oder passiv - Widerstand geleistet haben. (Vgl. Erster Abschnitt, Art.2 Kämpfende Bevölkerung, S.599) Und nie haben sie "unverhältnismäßige Mittel" eingesetzt, zumal sich nach den Grundsätzen des internationalen Kriegsrechts die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" immer am "Grundsatz der Gegenseitigkeit" orientiert, demzufolge bekanntlich immer die andere Seite "angefangen hat". (Ende des Exkurses)

Soweit zur Sortierung zwischen "normalen" und "verbrecherischen" Kriegshandlungen. Es reiht sich diese Ausstellung in die alte Legende vom Faschismus, der ein Verbrechen ist, auf ihre Weise ein. Sie legt die Parteinahme für Kriege ohne "Kriegsverbrechen" nahe und redet einem Kriegsrechtsidealismus das Wort, der sich bei Lichte besehen in die Verteidigung der Maßstäbe der Sieger auflöst. Man darf sich deswegen auch nicht wundern, daß noch jede offizielle Belobigung der Ausstellung in die Feststellung mündet, daß so etwas heute nicht mehr passieren kann, da die Bundesrepublik aus all dem die richtigen Konsequenzen gezogen und eine Bundeswehr aufgebaut hat, die allein für "Friedenspolitik im Geiste demokratischer Werte da ist" (Jakobsen). Dieses und jedes andere unerschütterliche Lob deutscher Politik haben sich die Aussteller selbst eingebrockt: Wer den faschistischen Ostfeldzug an heute gültiger Moral als "verbrecherisch" blamiert, der kriegt dafür die Quittung. Die besteht darin, daß die Ausstellung geradezu als Beleg dafür hergenommen wird, daß solche "Verbrechen" nie mehr möglich sein werden, weswegen es auch gilt die herrschende Demokratie mit allen Mitteln zu verteidigen. Das mögen die Aussteller vielleicht so nicht gewollt haben. Aber genau das haben sie selbst ins Leben gerufen.

2.2. Daß der Krieg ein Vernichtungskrieg war, ist zwar der Sache nach ein richtiges Urteil, bei ihnen aber ganz falsch begründet:

Der Ostfeldzug war, sagt der Katalog, ein "Vernichtungsfeldzug", weil die Wehrmacht an den genannten "Verbrechen" beteiligt war. Es begründet sich dieses Urteil also weder aus den politischen Zwecken des faschistischen Krieges, noch aus dem, was Krieg als Mittel von Außenpolitik überhaupt ist. Sie ergibt sich vielmehr allein aus den genannten, als besonders exzessiv beurteilten Vorkommnissen wie dem Erschießen "unschuldiger Zivilisten", von Ostjuden, von angeblichen Partisanen usw.

* Es kommt damit in der WMA ein Urteil zur Anwendung, das die gesamte Nachkriegsdeutung des Faschismus durchzieht und das auch durch Goldhagen und die Antideutschen neue Nahrung gefunden hat: Faschismus, das ist in erster Linie der Holocaust, dieses "rational nicht erfaßbare Verbrechen" von Deutschen. Alles andere, besonders jene Abteilungen der faschistischen Gesellschaft und Politik, die sie mit allen nichtfaschistischen bürgerlichen Gesellschaften, also auch mit der Demokratie - im Prinzip teilt - Nationalstaatsprinzip mit Staatenkonkurrenz nach außen und Herrschaftssicherung nach innen, kapitalistische Wirtschaftsverfassung, bürgerlicher Familie, Rechtsstaatsprinzip etc., - finden für sich keine kritische Erwähnung. So wird denn auch gar nicht der faschistische Krieg untersucht, der eben zu 95% aus den "normalen" Massenschlächtereien zwischen regulären uniformierten Truppen bestand, sondern der "Holocaust" in ihm erstens aufgespürt und zweitens zum bestimmenden Charakteristikum des faschistischen Krieges erklärt: Der Befund "Vernichtungskrieg" speist sich folglich allein aus der Art und dem Umfang "nicht-normaler" Kriegshandlungen der faschistischen Kriegführung.

* Dabei kommt eine Verharmlosung von Krieg überhaupt heraus: Krieg zwischen Staaten oder "Völkern" ist seiner ganzen Natur nach nämlich immer Vernichtungskrieg. Immer geht es im Krieg darum, daß ein Staat beschließt, mit seinem gesamten Gewaltapparat den zum Feind erklärten Konkurrenzstaat zur Kapitulation, also zur Preisgabe seiner Souveränität über Land und Leute, zur Aufgabe seiner Eigenstaatlichkeit zu zwingen. Dies macht er, indem er Zerstörungen beim Gegner anrichtet: Er vernichtet das gegnerische Militär und er vernichtet das zivile Leben und zivile Einrichtungen, also Land und Leute, immer in dem Maße wie kalkuliert wird, auf diese Weise den feindlichen Staatswillen brechen zu können. Der andere hält immer entsprechend dagegen. Frieden ist, wenn ein Staat angesichts der in seinem Territorium und damit an seiner Kriegsfähigkeit hergestellten Verwüstungen zum Urteil kommt, daß er nicht mehr siegfähig, manchmal auch: daß er nicht mehr kriegfähig ist. Es sind eben nicht nur die besonders brutalen, in ihren Ausmaßen neudimensierten und scheinbar jeder Kriegslogik widersprechenden Verwüstungen wie der Giftgaseinsatz im 1.Weltkrieg, der Völkermord im 2. Weltkrieg, der Atomschlag in Hiroshima und die us-amerikanische Strategie der verbrannten Erde in Vietnam - von der geplanten Vernichtungsstrategie der Nato für einen 3.Weltkrieg ganz zu schweigen -, die den Namen "Vernichtung" verdienen. Jeder abgefeuerte Schuß hat keinen anderen Zweck, als mittels der Vernichtung eines Menschenlebens oder mittels der Zerstörung einer Gerätschaft einen politischen Willen, einen Staatswillen zur Aufgabe zu zwingen. Es ist also theoretisch falsch und politisch eine Verharmlosung imperialistischer Kriege, dem faschistischen Ostfeldzug als dessen Besonderheit das Prädikat "Vernichtungsfeldzug" anzuheften.

Ohnehin blamiert noch jeder Krieg die Vorstellung von den "normalen" Kriegen ohne Massensterben von "unschuldiger Zivilbevölkerung". Denn all jene Vernichtungsaktionen, die der deutschen Wehrmacht als "Verbrechen" vorgehalten werden, fallen deswegen zwangsläufig auch in nicht-faschistischen Kriegen an, weil Zivilbevölkerung eben nicht heißt, daß der nichtuniformierte Volksteil aus dem Krieg ausgemischt ist. Was eine "schuldige" und was eine "unschuldige Zivilbevölkerung" ist, das hängt während des Krieges allein an der Entscheidung der Kriegsherren. Die fällen die nicht willkürlich, sondern nach militär-politischer Zweckmäßigkeit. Im Krieg gilt immer und ohne Rückversicherung, daß derjenige der Feind ist, der den jeweiligen Kriegszielen im Wege steht - egal ob er nun Uniformträger ist oder nicht. Und da die Zivilbevölkerung bekanntlich auch an einer Front eingesetzt wird, arbeitsteilig an der Heimatfront tätig ist - als Truppenreserve, als Nachschublieferant, als moralischer Rückhalt oder als Volkssturm und Sabotagetrupp - geht der Kriegsgegner mit den "Zivilisten" nicht gemäß der Ideologie vom unschuldigen Nichtuniformierten, sondern gemäß dessen - vermuteter oder wirklicher - Funktion im Kriegsfall um. Also auch von dieser Zivilisten-Ideologie sollte man sich schleunigst verabschieden.

* Die WMA verharmlost mit der Charakterisierung "Vernichtungskrieg" nicht nur jeden Krieg allgemein. Sie verfehlt obendrein die Besonderheit des faschistischen Krieges. Die liegt eben nicht in "Kriegsverbrechen", in der Abweichung der Kriegshandlungen nach Brutalität, Bösartigkeit und Umfang von "normalen" Metzeleien. Die liegen vielmehr in den besonderen Zielen des Programms für die faschistische Außenpolitik. Der Faschismus hatte eben nicht nur Staaten den Krieg erklärt, sondern teilweise auch ihren Völkern. Gerade mit dem Krieg gegen die Sowjetunion und andere Oststaaten verband Hitler das imperialistische Eroberungsziel der "Beschaffung neuen Lebensraums" mit dem Vernichtungsfeldzug gegen seinen Hauptfeind, gegen den "verjudeten Bolschewismus". Da sollte nicht nur eine Staatsmacht unterworfen, sondern zusätzlich dessen Doktrin und seine Träger ausgerottet werden. Da sollte nicht ein Volk einen neuen, eben faschistischen Staatsherrn bekommen, dem es künftig zu Diensten sein sollten. Es sollte vielmehr ebenfalls ausgerottet werden. Denn der deutsche Faschismus sah im "Juden" den natürlichen Feind der arischen Rasse und im bolschewistischen Staat dessen politische Verkörperung. Hitler hatte also seinen Feind nicht allein im Sowjetstaat ausgemacht, sondern in ganzen Teilen der Ostvölker. Er führt folglich einen doppelten Krieg: gegen die Rote Armee und gegen die jüdische Rasse. Erst mit der Vernichtung beider sah er den Weg frei für das Gelingen seines Projekts einer arischen Weltherrschaft.

Aufklärung über den Faschismus und seinen demokratischen Nachfolgestaat leistet die Ausstellung also nicht. Sie befestigt beim Dementieren von Wehrmachtslegenden so ziemlich alle Legenden deutscher Vergangenheitsbewältigung und liefert Material und Ideologie gerade zur unkritischen Einschwörung auf den herrschenden Staat. Sie leistet einem theoretisch begründeten Antifaschismus einen Bärendienst. Die Ausstellung ist nicht zu verteidigen, sondern insgesamt zu kritisieren.

Damit bin ich mit meinem ersten Teil fertig.

II. Die Auseinandersetzung mit der WMA

1. Das öffentliche Lob

Es darf also nicht verwundern, daß diese Veranstaltung inzwischen fast durchgängig als recht bedenkenswertes bis ehrenwertes Unterfangen honoriert wird: Wenngleich die Kohls und Dreggers, die Rühes und Lambsdorffs längst darüber hinweg sind, ihren Nationalismus immer nur als den negativen Nationalismus der Nachkriegszeit - als guter Deutscher gilt man, wenn man sich für die schlechten Deutschen von damals schämt - zu praktizieren, so halten sie es doch für inopportun, in aller Öffentlichkeit Front zu machen gegen ein Projekt, das diesen Sack-und-Asche-Nationalismus weiterhin kultivieren möchte.

Irgendeinen praktischen politischen Schaden richtet er nicht an. Denn weder - so wissen die führenden Politiker - hängt an der Botschaft der Ausstellung die politische Zielvorgabe für die Bundeswehr, noch besteht Gefahr, daß "die Bürger in Uniform" massenhaft auf die Idee kommen, sich die Frage nach dem Nutzen ihres Dienstes mit der Waffe vorzulegen. Immerhin wollen auch die Aussteller der Soldatenehre nicht an den Kragen, lancieren also keinen Angriff auf die Pflicht des modernen Soldaten, dieses "Bürgers in Uniform", auch dem neuen Staat bis zur Selbstpreisgabe zu dienen. Weder müssen die etablierten Parteien argwöhnen, daß durch diese Ausstellung deutsche Lohnarbeiter auf die Idee kommen, daß sie heute zwar nicht für militärische, dafür aber für ökonomische Weltkriege von Deutschland verheizt werden (Standortpolitik), noch daß auf diese Weise deutschen Bürgern ein Licht aufgeht über den demokratischen Rassismus nationaler Ausländerpolitik. Weder wird das Projekt von Großeuropa durch Ausstellungsbesucher infrage gestellt, denen aufgeht, daß Deutschland mit der NATO inzwischen schon wieder ziemlich weit im Osten steht; noch kommen andere Staaten angesichts dieses polit-moralischen Überbau-Getöbers auf die Idee, Deutschland müsse eigentlich alle Revisionen des Kriegsergebnisses wieder revidieren, also die DDR zurückgeben, auf alle Ansprüche auf Privateigentum im "Sudetenland" oder auf die "Beutekunst" verzichten usw. Da die tatsächliche deutsche Politik also in keiner Weise von der Aufregung über die Ausstellung berührt wird, sind die Wächter über den politischen Zeitgeist großzügig und erlauben es kritischen deutschen Antifas, unter Berufung auf eine Nationalmoral, der längst staatsmateriell der Boden entzogen worden ist, auf diese Weise ihren Frieden mit der neuen deutschen Großmacht zu schließen.

Es wird den Deutschen eben noch nicht vorgeschrieben, auf welche Weise sie zu ihrem Ja zu Deutschland kommen. Von einer Ausnahme abgesehen (dem bekennenden Neofaschismus) sind noch alle Varianten des Bürgernationalismus erlaubt: Die kritische Variante, die unter dem Motto "Wider das Vergessen" aus dem negativen Nationalismus ein moralisches Dauerprogramm macht, die zukunftsorientierte der Grünen, die unter Verweis auf erfolgreiche Vergangenheitsbewältigung neue antifaschistische Titel für deutsche Großmachtaußenpolitik kultiviert, die Variante des umstandslosen Stolzes darauf, daß "wir wieder wer sind" und auch die des enttäuschten Nationalismus von Ossis und deutschen Arbeitern, die es für eine Sache der politischen Ungerechtigkeit oder von Führungsschwäche halten, daß sie in der Nation nicht so vorkommen, wie sie es sich für sich wünschen. Nicht erlaubt ist es, wenn dieser enttäuschte Nationalismus praktisch und vielleicht sogar rabiat wird, Bannmeilen verletzt oder mit dem Anzünden von Ausländern der Politik zeigen will, wie rein deutsche Politik gemacht wird.

So ist natürlich weiterhin jede Kampagne "Wider das Vergessen" erlaubt bis erwünscht. Wenn sie nur jede schuldhafte Selbstbezichtigung mit dem nötigen stolzen Selbstbewußtsein auf die gänzlich unverdächtigen und höchst wertvollen Leistungen des Nachkriegsstaates verbindet, wenn sie die Anklage der Vergangenheit mit dem Lob der Gegenwart und Selbstverpflichtung, sich für die Zukunft Deutschlands weiterhin zu erinnern, verbindet.

2. Kritik von rechts

Für die Gauweilers und Co ist trotz aller deutschtümelnden Versöhnungsbereitschaft der Aussteller nicht zu tolerieren, daß die Wehrmacht zu einer Art kriminellen Vereinigung gemacht wird. Sie insistieren darauf, daß die Sack-und-Asche-Nationalmoral, die dem Kriegsverlierer aufgenötigt worden war, zum heutigen Nachkriegsgewinner Deutschland nicht mehr paßt. Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter und erblicken in dieser Stellung zu Deutschland und damit in der WMA eine wirkliche Gefahr. "Zersetzung der Wehrkraft", "Zersetzung der Volksmoral" gehe von der Ausstellung aus und sei sogar ihre Absicht, weil Soldaten ein Gewissen gegen die soldatische Gehorsamspflicht eingeimpft wird, behaupten sie. Sie haben leider nicht recht.

* Die Inhalt der Kritik der "konservativen Kreise" an der WMA selbst steht nun in einem merkwürdigen Mißverhältnis zur Heftigkeit, mit der er ausgetragen wird. Er faßt sich in dem Urteil zusammen, daß die Ausstellung ein Pauschalurteil über die Wehrmacht und über die deutschen Landser verbreite: Zwar seien sagen die Gauweilers in der Wehrmacht schon Verbrechen begangen worden, doch von Verbrechen der Wehrmacht könne keine Rede sein.

Auf den ersten Blick schrumpft der Streitgegenstand damit auf eine reine Quantitätsfrage zusammen. Er lautet: Wieviel Soldaten müssen sich an "Verbrechen" beteiligt haben, damit von "Verbrechen der Wehrmacht" geredet werden kann? Einige, viele, mehr als die Hälfte? Entscheidbar ist die Frage durch das Sammeln empirischer Beweise über den Umfang der Beteiligung von Wehrmachtsteilen an "Verbrechen" ohnehin nicht. Der Versuch der Aussteller, diesem Streit die Spitze zu nehmen und einen Kompromiß zu finden - dieses Anliegen ist für sich schon bemerkenswert - , scheitert denn auch kläglich: Der Katalog beteuert: "Die Ausstellung will kein verspätetes oder pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen." (Katalog, 7) (Ich frage mich, warum eigentlich nicht?). Natürlich seien "nicht alle" Soldaten beteiligt gewesen. Und Reemtsma stellt - rhetorisch? - die moralische Gegenfrage, warum man sich denn nicht in demokratischer Eintracht "gemeinsam zu der bitteren Einsicht" durchringen könne, daß es auf jeden Fall "zu viele" gewesen seien (FR 15.4.97). Doch das ist den rechten Kritikern zu wenig: Es mögen zwar "viele" und - geschenkt - auch immer "zu viele" gewesen sein, die sich an den "Verbrechen" beteiligt haben, doch sei gerade damit das Eingeständnis erbracht, daß es gerade "nicht alle" waren. Die Verteidiger der Wehrmacht haben in diesem Streit allemal die besseren Karten. Denn es lassen sich immer genug Soldaten oder Offiziere finden, die irgendwie dagegen waren.

Doch hängt für die rechten Kritiker an dem Streitgegenstand noch mehr: Für sie steht die Ehre des deutschen Soldaten auf dem Spiel. Wer von einem "Vernichtungskrieg der Wehrmacht" spricht, der erklärt die Soldaten zu Verbrechern und beschmutzt die Ehre aller Soldaten, weiß Gauweiler (CSU). Die Ausstellungsmacher würden damit einen "moralischen Vernichtungskrieg gegen das deutsche Volk" (Bayernkurier) führen, denn immerhin sei die ganze Bevölkerung damals in den Krieg involviert gewesen.

Solches aber liegt den Ausstellungsmachern selbst gänzlich fern. An die Ehre wollen sie niemandem gehen, beteuern sie. Und sie legen nach und unterbreiten ein theoretisches Angebot, wie sich unter guten deutschen Demokraten dieser Streit auflösen ließe. Reemtsmas Angebot benutzt dafür die Logik des Traditionserlasses der Bundeswehr (vgl. Jacobsen, Veranstaltungsverzeichnis S.8f) Die muß er für so überzeugend befunden haben, daß er sie sich zu eigen gemacht hat. Es ist die Logik der Trennung "der Institution" Wehrmacht von "den Menschen", den Wehrmachtsangehörigen. Die führt zu folgendem Befund: Als Institution sei die Wehrmacht schon verbrecherisch gewesen. Immerhin war sie ein Teil des Dritten Reiches. Deswegen kann - so wußten schon Strauß, Leber, Apel und Rühe - die Wehrmacht keine Tradition der Bundeswehr begründen. Aber (!) die Wehrmachts-Angehörigen, die Menschen in ihr, die einfachen Soldaten und das Gros der Offiziere, hätten nur ihre Pflicht getan, seien "verstrickt" gewesen in eine unselige Befehlshierarchie, hätten vielfach nicht gewußt, worum es ging, hätten sich in Gewissenskonflikten verzehrt und sich deswegen auch zum Widerstand entschlossen. Das Facit heißt: Die Wehrmacht als Institution war eine einzige Hitlerei, was aber für diejenigen, aus denen diese Einrichtung bestand, gar nichts heißt.

Es bleibt damit folgender paradoxe Befund: Die Menschen können einfach nichts für die Zwecke und Handlungen jener Institution, die sie durch ihre Urteile, Befehle und Taten allererst zu einem funktionsfähigen Instrument der Faschisten machen - von Ausnahmen und dem Menschen an der Spitze abgesehen. Vorstellen soll man sich eine böse Wehrmacht, die gänzlich unabhängig vom politischen Willen der sie tragenden Personen funktioniert!

Mit dieser Trennungs-Logik wird das Verhältnis zwischen Wehrmacht und Soldat ganz generell verfehlt. Es funktioniert erstens überhaupt keine Staatseinrichtung, ohne daß die Menschen, die sie betreiben, funktionieren. Heißt die Einrichtung nun zweitens ‘Wehrmacht’, dann müssen die Leute nicht nur gut funktionieren, sondern dann müssen sie obendrein daran glauben, daß die Sache des Staates, für die sie töten und sterben, eine "gute Sache" ist. Ohne Nationalismus - auf allen Etagen der Hierarchie und in allen Wehrmachten der Welt - gehen Militär und Krieg nicht. (Die Vorstellung eines gänzlich erzwungenen Militäreinsatzes ist schon insofern albern, als sie mehr Kräfte für die Aufrechterhaltung der "Disziplin der Truppe" als für den Einsatz gegen den Feind unterstellt.) Das gilt für faschistische Kriege ebenso wie für solche, die von demokratischen Staaten angezettelt werden. Und der Hinweis auf die Wehrpflicht, mit dem sich heute Landser zu Krypto-Widerständlern machen, taugt erst recht nicht als Einwand. Er lebt von der geradezu albernen Vorstellung, daß alles, was in der Gesellschaft den Menschen zur Pflicht gemacht wird - vom Bezahlen mit Geld, dem Anmelden beim Einwohnermeldeamt oder dem Erwerb eines Führerscheins - immer erst gegen ihren geschlossen und heftigtsten Widerstand durchgesetzt werden muß! Als ob es nicht die geläufigste Übung eines Staatsbürgers ist, sich die Pflichten in Notwendigkeiten, die Notwendigkeiten in Chancen zu übersetzen und die Chancen als Instrumente des privaten Interesses zu verklären.

* Es kürzt sich mit dieser Kritik der Trennung von Institution und Mensch auch die Berufung auf soldatische Tugenden wie Gehorsam und Pflichtbewußtsein heraus, die angeblich nichts mit einem Wissen um die und mit einer Zustimmung zu den Zielen des faschistischen Krieges zu schaffen haben sollen. Niemand tut "nur seine Pflicht" - wie es heißt, wenn mit dem Verweis auf das Pflichtbewußtsein die Erledigung unangenehmer Pflichten entschuldigt werden soll. Wer "seine Pflicht" tut, der weiß, wem er gehorsam ist, welche Absichten der Befehlshaber verfolgt und was die Ausführung der Befehle für ihn und den "Feind" bedeutet. Inhaltsleeres Pflichtbewußtsein, d.h. ein Bewußtsein von einer Pflicht ohne Kenntnis ihres bestimmten politischen Inhalts, gibt es nicht. Das verrät das Lob dieser soldatischen Tugend im übrigen selbst. Denn daß die Pflicht allemal darin besteht, für das Vaterland den Kopf hinzuhalten, wird hochgehalten, wenn Soldaten beteuern, von den faschistischen Zielen gar nichts gewußt zu haben.

(Und selbst wenn sich der eine oder andere Soldat seinen Dienst für die Nation damals etwas anders vorgestellt haben sollte als er dann ausfiel, so bedeutet doch seine Berufung aufs Pflichtbewußtsein, daß er sich mit den militärischen Zielen der Faschisten immerhin arrangieren konnte. Einen Bruch mit der soldatischen Tugend des Gehorsams haben ihm diese Ziele offenkundig nicht abverlangt. Wo in der so häufig zitierten Gewissensentscheidung zwischen der soldatischen Verpflichtung auf das Wohl des Vaterlandes und der Kritik am Größenwahn des Führer letztlich die Pflicht den Zuschlag bekommen hat, da muß die Pflichtverletzung allemal als das größere und die Befolgung der Befehle des Gröfaz als das kleinere Übel eingeordnet worden sein.)

Die inhaltslose Pflichterfüllung von deutschen Wehrmachtsangehörigen ist also nichts als eine Kreation der Nachkriegsssaubermänner, der Persilschein für Deutsche, die bekanntlich erst die "Wiedervereinigung mit den Volksdeutschen" (Sudetenland) wollten, sich dann einleuchten ließen, daß für das deutsche "Volk der Raum" zu eng wird und überdies mit der Eroberung von neuem Lebensraum der Hauptfeind der arischen Rasse - der verjudete Bolschewismus - endgültig besiegt werden kann.

Noch einmal anders gesagt: Ausgerechnet der zur Tugend hochgejubelte Gehorsam und das Pflichtbewußtsein gegenüber dem Staat, egal welches politische System er favorisiert, ausgerechnet dieses Ideal der vollständigen Identität von eigenem Willen und Knechtsgesinnung soll nicht gegen, sondern für die Knechte sprechen, soll für soldatische Tugend stehen und ihnen damit zur Ehre gereichen. Nicht nur, daß damit der Soldatenstand überhaupt in den Rang der tugendhaften Berufe erhoben worden ist, darüber hinaus wird Klartext über Tugendhaftigkeit geredet: als Tugend gilt der bedingungslose, also jeden eigenen Willen ausschaltende Gehorsam: Je tot für Staat, desto Ehre!!!

* Es stellt sich nun schon die Frage, warum es eigentlich den rechten Kritikern nicht reicht, die Unverdächtigkeit nationaler Anliegen durch die 100%-ige moralische Absetzung von faschistischer Wehr und ihren Kriegsverbrechen zu bekennen und der Bundeswehr damit den von jedem Verdacht gereinigten Neuanfang bescheinigen zu lassen? Warum laufen sie so Sturm gegen das Urteil von "den Verbrechen der Wehrmacht"? Warum legen sie - und heute zumal - so gesteigerten Wert auf die Berufung einer ungebrochenen Kontinuität zwischen Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr. Die Antwort ist einfach: Weil sie in der Bundeswehr tatsächlich keinen Neuanfang sehen. Weil sie bis heute nicht einsehen, daß sich die Bundeswehr mit antimilitaristischen Ideologien garniert wie ein Sanitäter-Corps darstellen soll. Die rechten Ausstellungskritiker sehen in der deutschen Wehrmacht von Kaisers bis zu Rühes Zeiten nicht nur eine politische Notwendigkeit, sondern den Inbegriff staatlicher Größe, nationaler Souveränität und außenpolitischer Rechte. Die Wehrmacht war und ist für sie der Inbegriff der Kontinuität deutscher Geschichte und insofern sakrosankter Berufungstitel auch für aktuelle Außenpolitik. Sie haben sich nie in die Auflagen der Siegermächte geschickt, nicht in die moralischen und schon gar nicht in die politischen.

Damit pflegen sie nicht etwa einen abseitigen Traditionalismus, sondern insistieren unverblümt auf neuerdings sehr aktuell gewordenen "historischen Rechten", die Hitler mit seinem, in eine Niederlage führenden Mißbrauch des Militärs nicht durchgesetzt hat. Deswegen spricht ihnen auch ein Kinkel aus dem Munde, wenn er als Außenminister nicht nur verkündet, daß "es heute etwas zu vollbringen gilt, worin wir (Deutschen) zuvor zweimal gescheitert sind!" (FAZ, 19.3.93) Diese Traditionalisten gehören folglich gar nicht in die Reihe der Ewiggestrigen. Sie stehen voll und ganz auf der Linie offizieller nationaler Ostpolitik. Ihrem uralten, früher verpönten (Sudeten-) Revanchismus wird bekanntlich heute ganz offiziell Recht gegeben - denn Deutschland gilt wieder etwas auf der Welt.(WV, Polen- und Tschechei-Vertrag, Baltikum, Europa, Beutekunst...) Ins rechtsradikale politische Abseits geraten sie folglich gar nicht wegen der Sache, die sie vertreten, sondern allein wegen der Form. Sie sollen sich gefälligst mit ihrem undiplomatischen Klartext noch etwas zurückhalten, werden sie aus dem Kanzlerbungalow maßvoll gescholten.

So gesehen ist der Streit zwischen Ausstellern und ihren rechten Gegnern schon eine ziemlich komische Angelegenheit: Die Antifas aus Hamburg halten den geistigen Überbau der Nation für die Mitte deutscher Politik und entnehmen den von ihnen selbst dort untergebrachten Ideologien den Beweis, daß man heute wieder getrost für Deutschland sein kann. Die Gauweilers und Co. entdecken umgekehrt gerade in diesem Nationalismus nicht das verschrobene linksidealistische Bekenntnis zu Deutschland, sondern halten ihn für eine echte Gefahr, weil er von einem Bild von Deutschland lebt, das ganz ohne Bekenntnis zu nationaler Größe Deutschlands auskommt. Das grenzt für sie schon fast an Vaterlandsverrat. So kann es kommen, daß gegenwärtig ein Streit zwischen zwei/drei Nationalismen, zwischen mehreren Touren, sich zu Deutschland zu bekennen, die Gemüter erhitzt.

Deutsche Politik kommt in diesem Streit nie vor. Immer nur geht es um die Frage, wie soll, wie darf, wie muß man als Deutscher über die deutsche braune Vergangenheit denken, daß es zum heutigen Deutschland paßt, daß Deutschland sauber, unverdächtig, aber zugleich nicht mehr demütig sondern anspruchsberechtigt dasteht. So gesehen geht es allerdings doch immer nur um das heutige Deutschland und seine - nicht angesprochenen - Vorhaben. Es wird Zeit, daß die deutschen Linken den Wehrmachtsstreit den Feuilletons überlassen und sich wieder diesen nationalen Vorhaben zuwenden.

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